Copán, 18.10.2022
Nach dem heftigen gestrigen Gewitterregen ist der Himmel heute Morgen stark bewölkt. Erst am späten Vormittag klart es auf. Für mich ist das ein großer Vorteil, da es das Besichtigungsprogramm weniger anstrengend macht. Mich plagen weder Regen noch große Hitze, als ich zusammen mit Roland und einem einheimischen Archäologieführer die Ruinen von Copán besuche.
Zwar habe ich in Mexiko und Guatemala bereits zahlreiche Mayastätten gesehen, Copán ist jedoch so individuell, dass keinerlei Langeweile aufkommt. Die Blütezeit der Stadt lag im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Am Rande des Zentrums befand sich ein Fluss, der Teile der Anlage wegspülte. Der Nachteil, dass manche Gebäude nicht mehr vorhanden sind, wurde für die Archäologen dadurch ausgeglichen, dass man so die verschiedenen Bebauungsschichten der Jahrhunderte sehen und studieren kann.
Was auf einem Gelände von etwa zwölf Hektar erhalten geblieben ist, beeindruckt mich sehr. Zahlreiche Tempel– und Wohngebäude, Altäre, Steinstelen und der nach dem in Chichen Itzá größte Ballspielplatz sind zu sehen, alle streng entlang der vier Himmelsrichtungen angeordnet. Die Monumente bestehen aus Tuffstein und sind teilweise in sehr gutem Zustand. Absoluter Höhepunkt ist die Treppe, die an der Frontseite zur Stufenpyramide "Tempel 26" emporführt. Sie wird durch 55 Stufen aus insgesamt 2200 Steinblöcken mit Maya–Hieroglyphen gebildet. Die Inschrift beschreibt die Geschichte Copáns und ist der längste bekannte, in Stein gemeißelten Maya-Text.
In der Ruinenstadt Copán. An manchen Steinen sind sogar noch Reste des roten Verputzes zu sehen.
Direkt neben diesem äußerst beeindruckenden Monument können wir bei den aktuellen Restaurierungsarbeiten zusehen. Viele heruntergefallene Steine werden katalogisiert und anschließend dazu verwendet, die frühere Gestalt der Tempelfront wiederherzustellen. Eine Archäologin zeichnet die Steine auf Millimeterpapier nach und versucht das große Puzzle zusammenzusetzen. Es gilt herauszufinden, an welcher Stelle der ursprünglichen Mauer sie verbaut waren. Auf ihre Anweisungen hin bauen Maurer die beschädigten Teile des Tempels wieder auf. Dafür muss ein Spezialmörtel verwendet werden, dessen chemische Eigenschaften dem des ursprünglich verwendeten möglichst genau entsprechen, damit nicht gleich wieder die Erosion einsetzt.
Oben: Die Stele "N". Mitte links: Die Hieroglyphentreppe. Mitte mitte und rechts: Ballspielplatz. Unten links: Steinstele. Unten mitte: Steinaltar "G1". Unten rechts: Aras.
Viele Teile der antiken Stätte sind noch nicht freigelegt, da man bisher keinen Weg gefunden hat, sie zu konservieren. Dies gilt besonders für die rote Farbe, mit der die Gebäude und Steinstelen verziert waren. Unterhalb des "Tempels 16" befindet sich ein offenbar exzellent erhaltenes Gebäude aus dem 6. Jahrhundert, das "Rosalila" genannt wird. Probebohrungen haben offenbart, dass es sich um eine archäologische Sensation handeln muss.
Knapp drei Stunden verbringen wir in der absolut sehenswerten Anlage, dann heißt es Abschied nehmen. Auf dem Weg Richtung Ausgang gibt es allerdings weitere interessante Eindrücke: Rote Aras, die in den Bäumen sitzen oder das Gelände kreischend überfliegen. Einem Forscher ist es gelungen, die gefährdeten Tiere zu schützen, zu züchten und gefangen gehaltene Exemplare erfolgreich wieder auszuwildern. Diese bevölkern nun die Ausgrabungsstätte. Ich kann einige der Vögel beobachten und fotografieren.
Auf Rolands Vorschlag hin beschließe ich, das nahegelegene Archäologiemuseum zu besuchen, obwohl es nicht im Programm inbegriffen ist. Wir werden am Nachmittag zurückkehren und ich werde die sieben US–Dollar (168 Lempira) extra bezahlen.
Kurz nach 14:00 Uhr ist es so weit. Das Museum lohnt den Besuch auf alle Fälle. Hauptattraktion ist ein Nachbau des "Rosalila"–Tempels in Originalgröße, der die bisherigen Forschungsergebnisse widerspiegelt. Darüber hinaus sieht man Originalskulpturen und Fassaden von Tempel– und Wohnhäusern, die zu ihrem Schutz vor Erosion hier unter Dach ausgestellt werden, während im Gelände draußen nur ihre Replikas zu sehen sind. Auch hier ist sehr beeindruckend, in welch gutem Zustand die meisten jahrhundertealten Kunstschätze sind. Ich kann jedem, der sich für die Mayakultur interessiert, den Besuch der Ausgrabungsstätten und des Museums wärmstens empfehlen!
Im Archäologiemuseum, Oben links: Nachbau des Rosalila–Tempels.
Gegen 15:00 Uhr fahren wir das kurze Stück zurück zu meinem Hotel und verabreden uns für den morgigen Tag. Nach einer längeren Pause gehe ich in ein nahegelegenes Restaurant zum Abendessen. Ich wähle Pollo Kawak, ein Hühnchengericht im Maya–Stil mit einer Kakaosauce, Kartoffelbrei, Gemüse, Salat und Tortillas. Ich trinke drei kleine Barena–Bier dazu und zahle insgesamt 430 Lempira. Während ich im Restaurant sitze, blitzt und donnert es bedrohlich, die Gewitterwolken regnen aber diesmal offenbar abseits des Ortes ab. Mit einem Verdauungsspaziergang durch den kleinen malerischen Ort endet mein interessanter Aufenthalt in Copán.